Öffentliche Räume für alle: Bedeutung und Realisierung einer kinderfreundlichen Verkehrsplanung
8 août 2024 | Nadine Junghanns, Mona Meienberg (UNICEF Schweiz und Liechtenstein)
Die Ausgestaltung des öffentlichen Raums, und so auch des Verkehrsraums, hat einen grossen Einfluss auf das Aufwachsen und die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Sie entscheidet massgeblich mit, ob und in welchem Ausmass sich Kinder und Jugendliche autonom und sicher im öffentlichen Raum aufhalten und bewegen können. Die Schweiz hat die UN-Konvention über die Rechte des Kindes 1997 ratifiziert und den Schutz, die Förderung und die Partizipation von Kindern und Jugendlichen zwischen null und achtzehn Jahren zur politischen Handlungsgrundlage gemacht. So auch in der Verkehrsplanung. Die Bedürfnisse und Sichtweisen von Kindern und Jugendlichen müssen zwingend in Planungsvorhaben des Verkehrsraums einfliessen. Die Steigerung der Kinderfreundlichkeit im Verkehrsraum ist eine Querschnittsaufgabe zahlreicher Akteurinnen und Akteure der öffentlichen Hand und von privaten Trägerschaften. Verkehrsplanende, Fachpersonen in der Verwaltung, die Wissenschaft und schliesslich jeder und jede Einzelne in der Bevölkerung haben folglich einen grossen Einfluss auf die Ausgestaltung des Verkehrsraums und somit auf die Umsetzung der Kinderrechte im gesamten öffentlichen Raum.
QUALITÄTSKRITERIEN EINES KINDERFREUNDLICHEN VERKEHRSRAUMS
Um den Verkehrsraum kinderfreundlich zu gestalten, bedarf es der Berücksichtigung verschiedener qualitativer Anforderungen. Ein kinderfreundlicher Verkehrsraum…
… erfüllt hohe Standards an die Verkehrssicherheit.
Im Fokus stehen der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Unfällen sowie die Förderung des sicheren und selbstständigen Unterwegsseins im öffentlichen Raum. Es ist daher zentral, dass Massnahmen an der Verkehrsinfrastruktur umgesetzt werden. Dazu gehören ein ausgebautes Fuss- und Veloverkehrsnetz, sichere Querungshilfen, Fussgängerschutzinseln und die Vermeidung von Sichthindernissen. Die Nutzungsregelung muss auf geringe Geschwindigkeit und geringes Aufkommen des motorisierten Verkehrs ausgerichtet sein. Vertikal- und Horizontalversätze können an Schlüsselstellen wie Kindergärten, Schulen und weiteren Spiel- und Aufenthaltsräumen von Kindern und Jugendlichen helfen, die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit örtlich zu reduzieren.
… fördert die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen.
Kinder und Jugendliche, die zu Fuss oder mit dem Velo unterwegs sind, leben nachhaltig gesünder (Quelle). Dabei ist zentral, dass dem aktiven Verkehr (Laufrad, Trottinett, Velo, zu Fuss usw.) gegenüber dem motorisierten Verkehr mehr Raum zugesprochen wird. So auch hinsichtlich der Kindergarten- und Schulwege, welche Kinder auch aus Entwicklungsperspektiv bevorzugt zu Fuss oder mit dem Velo und nicht mit dem Auto zurücklegen sollen. Lärm- und abgasreduzierende Massnahmen können zusätzlich zu einer Verbesserung der Gesundheit beitragen.
… hat eine umfassende Strassenbegrünung.
Bäume, Büsche, Hecken oder Wiesenflächen können die Aufenthalts- und Nutzungsqualität massgeblich steigern, indem sie Schatten spenden, das Aufkommen von Hitzeinseln reduzieren und den Raum vielfältig und lebendig machen.
… lädt zu Begegnung ein.
Die Schaffung von Begegnungszonen im Sinne von Tempo 20-Zonen kommt dem Anspruch von Kindern und Jugendlichen nach Interaktion und Austausch mit Gleichaltrigen nach. Auch die intergenerationelle Begegnung kann auf diese Weise gefördert werden. Wo die Schaffung von Begegnungszonen nicht möglich ist, können auch Sitzmöglichkeiten wie niedrige Mauern oder Steine auf dem Trottoir oder auf Aufenthaltsflächen die Begegnung fördern.
… beinhaltet veränderbare Elemente.
Kinder wollen Veränderungen bewirken und Spuren hinterlassen. Ermöglicht werden kann dies beispielsweise durch die Nutzung von Naturmaterialien am Wegrand, auf dem Trottoir oder auf Aufenthaltsflächen.
… ist nachhaltig geplant und ausgerichtet.
Um die Umsetzung der Kinderrechte jetzt und in Zukunft zu ermöglichen, ist es unabdingbar, den Klimawandel nach allen Möglichkeiten abzuschwächen und die Auswirkungen einzudämmen. Denn die Klimakrise ist zweifelsfreie eine Kinderrechtskrise. In der Schweiz ist der Verkehr der grösste Treiber des Klimawandels. Die Verkehrsraumgestaltung hat hierauf einen Einfluss, da sie mittels Kapazitätsbegrenzung (z.B. Spurabbau, zeitlich begrenzte Fahrverbote, Teilfahrverbote, Umwandlung in verkehrsberuhigte Strassen) die Kapazitäten des motorisierten Verkehrs zugunsten des aktiven oder des öffentlichen Verkehrs begrenzen kann. Ausserdem sollte das Thema auch mit Kindern und Jugendlichen thematisiert werden, beispielsweise im Rahmen der Verkehrserziehung an Kindergärten und Schulen.
PLANUNG UND GESTALTUNG MIT UND NICHT NUR FÜR KINDER UND JUGENDLICHE
Damit die Umsetzung der Kinderrechtskonvention im öffentlichen Raum gelingt, ist es unabdingbar, Kinder und Jugendliche in die Planung, Gestaltung und Nutzungsregelung des Verkehrsraums einzubeziehen. Diese Mitwirkung kann direkt mit Kindern und Jugendlichen oder indirekt mittels stellvertretender Partizipation erfolgen. Der altersgerechte und wirksame Einbezug von Kindern und Jugendlichen muss Eingang in Planungsprozesse finden und verbindlich in Planungsinstrumenten wie Strategien, Konzepte aber auch Reglemente verankert werden.
Das Handbuch «Planung und Gestaltung von Kinderfreundlichen Lebensräumen» (UNICEF Schweiz und Liechtenstein 2021) zeigt auf, wie die partizipative Planung und Gestaltung von kinderfreundlichen Lebensräumen gelingen kann. Ergänzt wird das Handbuch durch die Publikation «Kinderfreundlicher Verkehrsraum - Anforderungen an eine kindgerechte Verkehrsraumgestaltung und Handlungsempfehlungen für die Praxis» (UNICEF Schweiz und Liechtenstein 2024), welche einen Fokus auf den Verkehrsraum legt.