Mobilité et développement territorial

Flawil: Grundordnung der kommunalen Nutzungsplanung als Chance für 10-Minuten-Nachbarschaft

8 octobre 2025 | Sibylle Wälty, Dozentin ETH Zürich und Founder & CEO ETH Spin-off Resilientsy

Flawil steht vor einer besonderen Gelegenheit: Mit der laufenden Revision der Grundordnung der kommunalen Nutzungsplanung kann die Gemeinde den Grundstein für eine 10-Minuten-Nachbarschaft im Ortszentrum legen. Was heute oft abstrakt klingt, lässt sich hier konkret prüfen, indem Regeln für Dichte, Mischung und Mobilität direkt in die Grundordnung integriert werden.

Légende de l’image: Drei städtebauliche 4D-Szenarien für die Ortsentwicklung:„Weiter wie bisher“ (Zersiedelung), “hochwertige Innenentwicklung” und “10-Minuten-Nachbarschaft”. Dargestellt ist die langfristige Perspektive über 60-100 Jahre.

Grundordnung als Hebel für Transformation

Die kommunale Nutzungsplanung ist das entscheidende Instrument, wenn es darum geht, kurze Wege, urbane Lebendigkeit und nachhaltige Mobilität zu sichern. Für Flawil bedeutet das:

  • Verdichtung am richtigen Ort: Mehr Wohnen und Arbeiten im Umkreis von 500 Metern um Bahnhof und Ortszentrum.
  • Mischnutzung fördern: Erdgeschosse für publikumsorientierte Angebote ausrichten, vielfältige Wohn- und Arbeitsformen zulassen.
  • Mobilität koppeln: Aufhebung der Parkplatzpflicht, Verbesserung der öV-Anbindung sowie der Fuss- und Velowege
Ausstellung, Spaziergang und Podium durch das Ortszentrum als Einstieg in den partizipativen Planungsprozess.
Ausstellung, Spaziergang und Podium durch das Ortszentrum als Einstieg in den partizipativen Planungsprozess.

Partizipation als Lern- und Aushandlungsraum

Der partizipative Prozess in Flawil geht über klassische Mitsprache hinaus: Ausstellung, Spaziergang und Podium, wie in Abbildung 1 ersichtlich, sowie Visualisierungen und Szenarien verdeutlichen, wie weit 500 Meter tatsächlich reichen, welche Folgen Zersiedelung hat und wie sich Innenentwicklung gestalten lässt. So entsteht ein gemeinsames Grundverständnis für Regeln, die kurze Wege, attraktive Freiräume und bezahlbaren Wohnraum sichern.

Das Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) unterstützt diesen Prozess als Referenzprojekt. Gemeinsam mit meinem ETH-Spin-off Resilientsy wird in Flawil erprobt, wie aufgeklärte Partizipation funktioniert: Die Bevölkerung diskutiert datenbasiert Szenarien, wägt Chancen und Risiken ab und trägt so aktiv zur Entscheidungsqualität bei.

Wirkung von Bevölkerungsdichte auf Fussgänger:innen- und Autoanteile.
Wirkung von Bevölkerungsdichte auf Fussgänger:innen- und Autoanteile.

Warum Dichte entscheidend ist

10-Minuten-Nachbarschaften entstehen ab einer kritischen Masse: mindestens 10 000 Einwohnende und idealerweise halb so viele Arbeitsplätze in einem 500-Meter-Radius mit guter ÖV-Anbindung. Dann bleibt das Zentrum über den ganzen Tag belebt:

  • Bewohnende in Gehdistanz erledigen Einkäufe, besuchen Bibliotheken oder Restaurants.
  • Beschäftigte bringen Frequenzen am Morgen, Mittag und Abend.
     

Über den Tag verteilt, entsteht so eine Nachfrage, die lokale Dienstleistungen trägt und das Ortszentrum stärkt.

Beispiele aus Zürich – etwa rund um den Ida- oder den Lindenplatz – zeigen, wie kompakte Quartiere möglich sind und gleichzeitig urbane Lebendigkeit fördern. In Flawil sind die baulichen Voraussetzungen für eine 10-Minuten-Nachbarschaft heute zwar noch nicht gegeben. Mit einer neuen Grundordnung eröffnet sich jedoch die Chance, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sich in den kommenden Jahrzehnten im Ortszentrum eine solche Nachbarschaft entwickeln kann. Die Abbildung 2 unten zeigt, dass sich in 10-Minuten-Nachbarschaften im Vergleich zu heutigen Verhältnissen in Flawil die Etappen, die zu Fuss zurückgelegt werden, verdoppeln, während jene mit dem Auto um zwei Drittel abnehmen.

Siedlungs- und Verkehrsplanung verbinden

Häufig werden Verkehrs- und Siedlungsentwicklung nebeneinander beplant.

  • Langsamverkehr (z. B. Velowege, Fussgängerzonen) kann Gentrifizierung auslösen, wenn nicht genug Wohnraum ermöglicht wird.
  • Schnellverkehr (z. B. Strassenausbau) induziert zusätzlichen Autoverkehr, wenn er nicht an die Siedlungsentwicklung gekoppelt ist.
  • Verkehrsdrehscheiben (z. B. Park&Ride, höhere ÖV-Frequenzen) fördern Zersiedlung, wenn die Siedlungsstruktur fehlt.
     

Mit konsequenter Abstimmung von Siedlungs- und Verkehrsplanung schaffen 10-Minuten-Nachbarschaften klare Regeln, wann Infrastruktur ausgebaut wird: nämlich nur, wenn kompakte und gemischte Bebauung ermöglicht wird oder bereits vorhanden ist.

Drei städtebauliche 4D-Szenarien für die Ortsentwicklung:„Weiter wie bisher“ (Zersiedelung), “hochwertige Innenentwicklung” und “10-Minuten-Nachbarschaft”. Dargestellt ist die langfristige Perspektive über 60-100 Jahre.
Drei städtebauliche 4D-Szenarien für die Ortsentwicklung:„Weiter wie bisher“ (Zersiedelung), “hochwertige Innenentwicklung” und “10-Minuten-Nachbarschaft”. Dargestellt ist die langfristige Perspektive über 60-100 Jahre.

Drei Szenarien für Flawil

Im Rahmen der Ortsplanungsrevision diskutiert Flawil mit der Bevölkerung drei mögliche Entwicklungswege:

Weiter wie bisher:  Zersiedelung mit hohen Infrastrukturkosten und schwachem Ortszentrum. Hochwertige Innenentwicklung: Mehr Wohnen und Arbeiten in Bahnhofsnähe, Verdichtung mit Qualität. 10-Minuten-Nachbarschaft: Kritische Dichte und Mischung im Zentrum erreicht, kurze Wege, lebendiges und attraktives Ortsleben.

Diese Szenarien werden nicht nur für die nächsten 15 Jahre, sondern in einem städtebaulichen 4D-Modell auch über 60 bis 100 Jahre hinweg, wie sie in der Abbildung ersichtlich sind, dargestellt. Dadurch wird verständlich, welche langfristigen Folgen heutige Entscheidungen haben könnten.

Politischer Wille und behördlicher Rückhalt nutzen

Die Voraussetzungen sind gegeben: Unterstützung durch das Bundesamt für Wohnungswesen (BWO), eine offene Bevölkerung und klarer politischer Wille in der Gemeinde. Der Gemeindepräsident und der Ressortchef bekennen sich deutlich dazu, das Prinzip der 10-Minuten-Nachbarschaften als Ausgangspunkt für die Entwicklung des Ortszentrums mit der Bevölkerung zu diskutieren. Gleichzeitig steht auch die Verwaltung hinter diesem Ansatz und bringt das notwendige Fachwissen sowie die organisatorische Kraft ein. Damit ist die Transformation nicht nur politisch gewollt, sondern auch administrativ getragen. Entscheidend ist nun, die Prinzipien gemeinsam mit der Bevölkerung zu diskutieren, um sie bei Zustimmung verbindlich in der Grundordnung zu verankern und damit die Grundlage für ein lebendiges und zukunftsfähiges Ortszentrum Flawil zu schaffen.

Fazit

Nachhaltige Mobilität beginnt in der Nachbarschaft. Flawil zeigt exemplarisch, wie Transformation nicht verordnet, sondern gemeinsam getragen werden kann: durch eine Grundordnung, die kurze Wege ermöglicht, durch Partizipation, die Akzeptanz schafft, und durch politischen wie administrativen Rückhalt, der Chancen nutzt. 10-Minuten-Nachbarschaften sind so keine Vision mehr, sondern eine realistische Strategie für Gemeinden, die ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen wollen.

Plus d’articles sur le même thème